- 173 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (172)Nächste Seite (174) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 



meinen übrigen Beschäftigungen, bald hier, bald dort, in den unterschiedlichsten Verhältnissen überrascht hat.


Was wird nun immer wieder innerlich vorgeschlagen? Es ist dieses:


Die Kronen-Naht des Schädels (was nun zunächst zu untersuchen wäre) hat - nehmen wir's an — eine gewisse Ähnlichkeit mit der dichtgewundenen Linie, die der Stift eines Phonographen in den empfangenden rotierenden Zylinder des Apparates eingräbt. Wie nun, wenn man diesen Stift täuschte und ihn, wo er zurückzuleiten hat, über eine Spur lenkte, die nicht aus der graphischen Übersetzung eines Tones stammte, sondern ein an sich und natürlich Bestehendes — gut, sprechen wir's nur aus: eben (z.B.) die Kronen-Naht wäre —: Was würde geschehen? — Ein Ton müßte entstehen, eine Tonfolge, eine Musik ...Gefühle — welche? Ungläubigkeit, Scheu, Furcht, Ehrfurcht —: ja, welches nur von allen hier möglichen Gefühlen verhindert mich einen Namen vorzuschlagen für das Ur-Geräusch, welches da zur Welt kommen sollte ...


Dieses für einen Augenblick hingestellt: was für irgendwo vorkommende Linien möchte man da nicht unterschieben und auf die Probe stellen? Welchen Kontur nicht gewissermaßen auf diese Weise zu Ende ziehen, um ihn dann, verwandelt, in einem andern Sinnbereich herandringen zu fühlen?” -


Die Anschauung, die eine in ihrer Reinheit und Stärke so seltene Erfahrung erlaubte, faßt Rilke ein andermal in die Verse 1):


“0 das Neue, Freunde, ist nicht dies,

daß Maschinen uns die Hand verdrängen.

Laßt euch nicht beirrn von Übergängen,

bald wird schweigen, wer das ,Neue« pries.


Denn das Ganze ist unendlich neuer,

als ein Kabel und ein hohes Haus.

Seht, die Sterne sind ein altes Feuer,

und die neuern Feuer löschen aus.


Glaubt nicht, daß die längsten Transmissionen

schon des Künftgen Räder drehn.

Denn Äonen reden mit Äonen.

__________

1) Von Frau Clara Rilke aus dem Manuskript mitgeteilt; 1927 in einer Schweizer Zeitschrift veröffentlicht.


Erste Seite (1) Vorherige Seite (172)Nächste Seite (174) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 173 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik