- 81 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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Lenkung seines Geschickes« zu verlieren. Zudem ist mit diesem Duett ein Hauptmotiv in ›Hoffmanns Erzählungen‹ angerissen: Die Auseinandersetzung zwischen Mann und Frau – im ›Hoffmann‹ freilich aus der Perspektive des Dichters Hoffmann.

Diese Eingangsszene ist vor allem wichtig für das Chorlied (Felsenstein, Nr. 3) in der anschließenden Szene in Luthers Keller. Ohne die vorangestellte Szene im Theater wäre dieses Trinklied ein schmissiger Aktbeginn. So zeigt es die tiefe Kluft zwischen den begeisterten Theatergängern und dem dann auftretenden ernsten und völlig abwesenden Hoffmann. Erregte Mitteilsamkeit des zufriedenen Publikums über den gelungenen Abend ist dem introvertierten und abwesenden Hoffmann gegenübergestellt. Dies findet auch seinen musikalischen Niederschlag: während die anderen Gäste in Luthers Keller durch das lärmende Trinklied charakterisiert sind, ist Hoffmanns Antwort auf die Frage, was ihm begegnet sei, nämlich die »süßeste und traurigste Erinnerung«, bei Felsenstein als Melodram (Felsenstein, Nr.4a) mit zarten liegenden Streicherakkorden unterlegt. Diese Akkorde haben melodramatische und rezitativische Funktion: Sie repräsentieren, wie sehr Hoffmann durch seine Erinnnerung berührt ist, sie markieren Hoffmanns innerlichen Zustand der Erinnerung an seine Liebe zu Stella.

Das sich anschließende skurrile Lied mit Chor (Felsenstein, Nr. 5), das Lied vom »Klein Zack« erdichtet Hoffmann im Moment des Singens. Es ist ein Lied, das er den anwesenden Gästen singt. Das Lied drückt zunächst nicht Hoffmanns seelische Disposition aus, es ist scheinbar Bühnenmusik und nicht erklingende Innerlichkeit.69

69
Inwiefern gerade das »Klein-Zack«-Lied genau die Bitterkeit Hoffmanns zu diesem Zeitpunkt einfängt und nicht nur als Rahmen der Romanze fungiert, wird am Schluss der Untersuchungen zu ›Hoffmanns Erzählungen‹ deutlich.
Während des Liedes gewinnt aber wieder Hoffmanns Erinnerung an die verflossene Liebe, die seine Seele bestimmt, die Überhand; sie ergreift ihn in der Gesangs-Phrase »Unvergeßlich des Gesichtes Züge«: Er verlässt die Liedform und aus ihm bricht geradezu eine große, schwärmerische Romanze heraus. Das erinnerte Liebesgefühl ergreift von ihm Besitz und findet seinen Ausdruck. Erst Niklaus’ Ausspruch »Armer Hoffmann!« unterbricht ihn darin. Dadurch aus seiner Gefühlswelt gerissen, setzt er das ›Klein Zack‹-Lied fort. Insofern trifft diese musikalische Szene genau den inneren Zustand Hoffmanns, den Felsenstein folgendermaßen beschreibt:

»Es ist kein beliebiger Punkt in Hoffmanns Leben, sondern ein Scheidepunkt seiner Entwicklung. Sein Liebesschmerz um Stella hat ihn künstlerisch unfruchtbar gemacht, seine Schöpferkraft gelähmt.«70

70
Felsenstein/Herz: Musiktheater. Beiträge zur Methodik und zu Inszenierungskonzeptionen, Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig, 1976, S. 285

Die lebendige Erinnerung an die verflossene Liebe hindert Hoffmann daran, seine Dichtung, das Lied vom »Klein Zack«, zu Ende zu bringen, seine »Schöpferkraft ist gelähmt«.

Es erweist sich schon an diesem für eine Inszenierung wichtigen, weil das Thema des Stückes benennenden Punkt, dass Felsenstein sein Konzept als Resultat der Stückanalyse versteht. Auch den Anspruch an das Musiktheater, Zustände zum Gegenstand zu haben, die vornehmlich musikalisch auszudrücken sind, erfüllt der


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