Glaubwürdigkeit einer Handlung sei ihre Wahrscheinlichkeit, die durch ihre mögliche
Echtheit verbürgt würde. Auch Felsenstein erhebt die Glaubwürdigkeit zu einem zentralen
Kriterium der Bühnenvorgänge. Felsensteins ganzer Arbeitsprozess läuft darauf hinaus,
eine Bühnenrealisation anzustreben, bei der alles glaubwürdig erscheint. Kriterium der
Glaubwürdigkeit ist aber wohlgemerkt nicht die alltägliche Wirklichkeit, sondern das
Theatererlebnis.77
»Diese Metamorphose, diese Vereinigung im Spiel und Widerspiel ergreift – wenn sie zustande kommt – den ganzen Raum. Es ist das eigentliche Phänomen des Theaters, das nur ihm eigen ist, unverwechselbar und ewig.«78
Die Grundlage dieser Metamorphose stellt »Spiel und Widerspiel« dar. Die Verflechtungen der dramatis personae, deren Handlungen ineinander greifen, konstituieren eine Wirklichkeit, die »den ganzen Raum ergreift« und damit auch den Zuschauer. Das Eigentümliche dieser Metamorphose besteht darin, dass sie transzendiert. Gerade über die wirklichen Bestimmungen, wer da was für wen spielt, erhebe sich das Theater. »Wir [Zuschauer und Darsteller] spielen zusammen, dadurch hört mein Dasein als Zuschauer auf und ebenso sein Dasein als Schauspieler, mein Wissen vom Spiel ist verschwunden, und ich empfinde das Geschehen wahrer als jede Wirklichkeit.«79
Diese Theatertheorie verdankt sich – wie schon gezeigt – der Aufgabenstellung des Theaters, ganz im Sinne idealistischer Kunstauffassungen, zu Werten zu erziehen, jedoch genussvoll zu erziehen: Lust auf Moral hervorzubringen ist Aufgabe des Theaters.80
Das mitfühlende Gepacktsein würde eine Darstellung, die sich von den Handlungselementen, die packend sind, distanziert, also eine zweite Ebene zu den Geschehnissen in Beziehung setzt, stören. »Spiel und Widerspiel« würden nicht mehr direkt ineinander greifen, sondern geschähen vermittelt. Die Identifikation des Zuschauers verlangt also eine Darstellung, die mit der Bühnenwirklichkeit zusammenfällt. Insofern teilt Felsenstein Elemente des Illusionstheaters. Es sei nochmals daran erinnert, dass die Kriterien für ihre Glaubwürdigkeit die Bühnenrealisation aus sich selbst gewinnt und nicht notwendig der Alltagswirklichkeit entnommen sein müssen.
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