- 116 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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»in diesem Wald Unterschlupf und Nahrung [...] Baum, Risse, Rinde, Moos und Erdlöcher, Wurzeln und Gräser mußten wenigstens einmal als ›pars pro toto‹ greifbar erscheinen. So entstand der Füchslein-Wald.«142
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ebd.

Der Zuschauer sollte nicht in einem reflektierenden Rezeptionsakt verstehen, dass Zeichen auf der Bühne Wald bedeuten, sondern den Wald sinnlich erleben. Weil er als Sehnsucht aller die Handlungen der dramatis personae bestimmt, musste der Wald ›greifbar erscheinen‹, um deren Handlungen verständlich werden zu lassen. Nicht der Zweck, minutiös einen Wald auf die Bühne zu stellen, den der Zuschauer als solchen wiedererkennt, sondern seine ›Greifbarkeit‹, die sinnliche Anteilnahme am Hauptmotiv der handelnden Personen war bezweckt. Nicht dem Artifiziellen eines Naturalismus wurde damit gehuldigt, sondern vielmehr sollte der Zuschauer in seiner eigenen Grunderfahrung der Natur ergriffen werden.

Dafür einen ›echten‹ Wald auf die Bühne zu stellen, ist ein höchst stilisiertes Mittel. Der Zuschauer befindet sich im Theater, erwartet eine Kunstwelt und erlebt gerade dort einen frappierend echt anmutenden Wald. Deswegen stellt ein ›echter‹ Wald auf einer Opernbühne ein Höchstmaß an Stilisierung dar, denn er bewirkt gewissermaßen ein artifizielles Naturerlebnis, gespielt wird da mit dem ›unechten‹ Erleben des ›Echten‹ und seiner Verkehrung, dem ›echten‹ Erleben des ›Unechten‹. Ein sinnliches Kunsterlebnis vergegenwärtigt durch seine Realität als Erlebnis – und nicht Reflexion – eine reale Erinnerung an Naturerlebnisse. Der Grund dafür, ein Naturerlebnis durch den ›echten‹ Wald evozieren zu wollen, lässt sich aus dem Thema des Stückes entwickeln – die in der Menschenwelt verlorengegangene Idealität der Natur.

Zu Beginn nimmt man den Wald wahr, der sich langsam belebt. Verschiedenste Tiere spielen in Gruppen übermütig nebeneinander, andere Tiere tummeln sich einzeln umher. Die Szene vermittelt den Eindruck völliger Zweckfreiheit, das Tier-Treiben geht auf im Hier und Jetzt. Auch die Frage vom kleinen Füchslein, der einen Frosch sieht, ›Ißt man das?‹, verliert ihre ganze Brutalität angesichts des naiven Habitus. Diese Welt ist in Ordnung, sie ist jedoch nicht mit der üblichen Darstellung einer ›heilen‹ Welt zu verwechseln. Während diese davon lebt, zu zeigen, wie einfach doch alles wäre, also ihre so leicht mögliche Realität vorgaukelt, verdeutlicht jener Wald die sich der Stilisierung verdankende Distanz der Idealität der Natur zur Realität des Zuschauers. Dass der Betrachter der Szene fragt, ob sie Idylle oder Ideal sei, hat seinen Grund in der oben beschriebenen Funktionsweise dieses Waldes, die Sinnlichkeit einer eigenen Natur-Erfahrung zu wecken. Als Idylle ist die Sehnsucht nach natürlicher Einfachheit aufbewahrt.

Janaceks Musik vermittelt nicht die Idealisierung der Natur als pathetisch-erhebendes Musikerlebnis, sondern das Treiben im Wald, er schildert musikalisch das lebendige Getümmel, organisch auseinander erwachsende musikalische Verläufe, die zu einem Motivgewebe verflochten sind, vermittelt den Eindruck eines Naturklanges. In anderem Kontext spricht Dahlhaus von der Objektivität der musikalischen Seelenschilderung bei Janacek. Er gleiche einem Beobachter, der »hinter dem, was er so schildert, wie es sich von sich aus zeigt, unbemerkt zurücktritt«.143

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Dahlhaus, Carl: Musikalischer Realismus, R.Piper&Co, München 1982, S. 124
Dass hier Idealität der Natur gemeint ist, wird erst in der Handlung – dem unschuldigen

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