- 99 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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sollte, was hier bezweifelt wird, kann seine Interpretation kaum überzeugend gelingen, worauf auch Hilmar-Voit hinweist75
75
Hilmar-Voit, S. 229.
. Schon die Aussage von Heines Ballade ist sehr schwierig zwischen Realität und Ironie auszumachen; hinzu kommt Schumanns Umsetzung mit der Marseillaise, und schließlich der Bezug zu Mahlers Text an dieser Stelle. Dieses schon in seiner Existenz in Frage zu stellende Zitat kann zum Verständnis des Liedes nicht beitragen.

Kommentar

Obwohl das Straßburg-Lied gegenüber den späteren sehr viel weniger vielschichtig angelegt ist, treffen die Beobachtungen aus den beiden vorher behandelten Liedern auch hier zu. Während sich hier die Verfremdung der Militäridiome auf die Trübung ins Mollgeschlecht beschränkt, nutzt Mahler später auch andere melodische und harmonische Mittel – falsche Signale und falsche Harmonien – zur Verzerrung der Idiome. Das wichtigste Ergebnis ist, daß Mahler nicht nur durch die Auswahl der Texte ein Negativbild des Soldaten zeichnet, sondern dieses durch seine Musikalisierung in ganz entscheidendem Maße intensiviert. Die Texte an sich lassen eine Positivierung zu, wie die bekannten Volksliedversionen zu den Liedern belegen. Mahler zieht die Militäridiome musikalisch ins Negative, wodurch das düstere Bild des Militärs erst seine eindeutige Färbung erhält.

Ugo Duse hat Anfang der sechziger Jahre musikalische Bezüge zwischen den Volksliedfassungen und Mahlers Liedmelodien ausgemacht, die er als Erinnerungsprozesse und Reminiszenzen bezeichnet. Was er an musikalischen Übereinstimmungen am Straßburg- und am Schildwachen-Lied postuliert, ist weniger frappierend, zumal er sich beim Schildwachen-Lied auf eine Erk-Böhme-Version bezieht, die textlich beträchtlich vom Wunderhorn abweicht76

76
Erk-Böhme II, Nr. 766.
. Um so prägnanter ist dagegen seine Schlußfolgerung:

»Diese Texte lassen in der Erinnerung Bauernlieder, Trompetenstöße, Militärmusik aus der Garnison, traurige Kantilenen der Frauen auf den Schwellen der Häuser, fromme lutherische Choräle, trostlose jüdische Wiegenlieder wiederaufklingen, und dies fließt in einem einzelnen Menschen zusammen, der, so hat es fast den Anschein, zum seltsamen Schicksale berufen war, die heile Wiener Welt anfangs zu verstören, in der Folge zu skandalisieren, um sie schließlich zu terrorisieren, indem er über sie die Lawine jener Erinnerungen als dunkle Weissagung der Trümmer hereinbrechen läßt.«77

77
Ugo Duse, Origini popolari del canto Mahleriano, in: L’Approdo Musicale 16–17 (1963), S. 104; ebenso in Duse, Musica e Cultura, Padova 1967, S. 63; deutsch als Der volkstümliche Ursprung des Mahlerschen Liedes, in: Musik-Konzepte Sonderband Gustav Mahler, München 1989, S. 171.

Mahlers Lieder haben, so wurde eingangs des Kapitels festgestellt, autobiographischen Charakter. Mahler war aber nie Soldat, und ebenso wenig aktiver Pazifist. Eine Anti-Kriegsinitiative läßt sich weder den bislang zitierten Dokumenten zu den einzelnen Liedern entnehmen noch ergibt sie sich aus seinen Berührungen mit der Politik seiner Zeit, wie im zweiten Kapitel herausgearbeitet ist. Die Dokumente


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