- 317 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (316)Nächste Seite (318) Letzte Seite (410)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

wird in die Gefilde der Seligen eingeführt, und die Zurückgebliebenen stimmen die Totenklage an. – Aber auf mancherlei Art kann man den Satz deuten, der nur Überschrieben ist: »Allegro energico, ma non troppo. Heftig, aber markig.« [B06/G]
Der erste Satz illustriert ein Marschthema, welches an trotziger Brutalität nichts zu wünschen übrig läßt. [M06/A]

Dazu herrscht, insbesondere in den beiden Ecksätzen, eine merkwürdige Monotonie der Rhythmik, die, so straff sie anfangs einsetzt, auf die Dauer recht hölzern und steifbeinig einherschreitet. [M06/C]

Der erste Satz wühlt geradezu wollüstig im Häßlichen, in monströsen Klängen, in banalen Gedanken, und das grelle Wiehern de Klarinetten wird einem noch lange im Ohre bleiben, wenn auch sonst nichts darin bleibt. [M06/H]

Den echten Mahler spürt man aus den beiden großen Ecksätzen. Man kann eine Menge Einwände gegen sie erheben, kann sie sogar ablehnen und verwerfen: aber sie enthalten doch einzig das, was die Symphonie liebenswert erscheinen ließe, nämlich ein Stück Mahlerscher Persönlichkeit. Der erste Satz setzt marschmäßig ein. Schon dies ein Mahlerscher Zug, der sich in so vielen seiner Werke findet. Was für ein Stück Erleben oder Jugenderinnerung dahintersteckt, ist gleichgiltig, sicher ist nur, daß eines hinter diesen Tönen zu finden wäre. Doch man soll in der Musik nichts als Musik suchen, und in der Symphonie nicht den Menschen Mahler, sondern den Musiker Mahler erkennen und werten. Der Musiker Mahler spricht aus dem ganzen ersten Satze mit seinen breit ausladenden Themen, mit seinen Gegensätzen und Bindungen, seinen Widersprüchen und kunstreicher Vereinigung [W07/B]

Nach einigen einleitenden Takten, die bereits motivisches Material für spätere Kombinationen bieten, erklingt ein marschartiges Thema, das weit und in mannigfachen Farben ausgesponnen wird, bis sich daraus der dröhnende Hauptgedanke aufbäumt, dem sich ein sinniges Seitenthema gesellt. Eine graziöse Tonreihe mit ihren Angliederungen mag die Gesangsgruppe repräsentieren. [. . . ] Die Durchführung dringt die Themen in kontrapunktische Gegensätze und Verbindungen, mischt sich mit neuen Zutaten und läßt Takt für Takt die rastlose Kombinationskraft des Meisters anstaunen. Hart im Raume stoßen sich die Gedanken, oft unverträglich genug. Immer mächtiger wächst der Schwall, immer höher wirbeln und kreisen die Tonschwingen, bis weltentrückte Höhenluft erreicht ist, wobei der entsprechend ätherische Klang durch instrumentale Vibrationen in den höchsten Lagen mit Beiziehung von Herdenglocken und der stahlplattigen Celeste bewerkstelligt wird. Die tönenden Eiskristalle wirken auf eine kunstsinnige Dame so polarisch, daß sie ihre Pelzboa umhing. Nach einer interessanten Ueberleitung setzt die Reprise ein, allerdings vielfach alteriert und bereichert, und nach einer nochmaligen Abschweifung in das Gebiet poetischer Illustration schließt der Satz mit jubelndem Uebermut ab. [W07/D]

Eher passte die Überschrift [»Tragische«] auf gewisse Partien des ersten Satzes [W07/G]

Im ersten Satze finden sich neben manchen Bizarrerien und Schroffheiten bedeutende Einzelheiten, insbesondere überraschende neue Eingebungen auf dem Gebiete des Klanges. [. . . ] Schweflige Luft ist auch im ersten Satze zu spüren, auch er scheint zu groß dimensioniert, auch hier fehlt es nicht an Ueberladung und Schroffheiten. Aber schon der thematische Bestand ist interessanter. Ein Thema von jenem scharfen, marschartigen Rhythmus, wie ihn Mahler liebt, eröffnet ihn, Brucknersche Züge in den Anfangstakten, dann wild, aufrührerisch auftürmend, mit verminderten Quinten und harten Septimen, auf den obstinaten Baß aufprallend. Ein Choralgedanke – also wieder ein Gruß nach Bruckner hin – bildet das Seitenthema. Vorher hat sich schon in den Trompeten jenes harmonische Motiv gemeldet, das, offenbar eine Symbolisierung des tragischen Helden, durch die ganze Symphonie geht: ein schmetternder Durdreiklang, der kraftlos, wie vernichtet, in den Molldreiklang zurücksinkt. Wir versuchen keine Deutungen dieses Hamlet-Gedankens, sondern vernehmen vielmehr das Gesangsthema des Satzes, das leicht an Schumann angelehnt, halb schwärmerisch, halb schwungvoll, Leyer und Schwert zugleich im Wappen führt. Im Durchführungsteile stellen sich jene seltsamen Bildungen ein, die bei Mahler an jene abnorm geformten Gewächse erinnern, welche der Held eines Huysmansschen Romanes sammelt und aufzieht. Aber man stößt hier auch auf zart empfundene Wendungen, wahrhaft erdentrückte Klänge. Dabei ist im Unterschiede von sonstiger Musikmoderne das Koloristische stets an feste thematische Zeichnung geknüpft. Der Schluß bringt unter Verwendung des Gesangsthemas eine gewaltige Steigerung, nach unserem Empfinden aber mehr eine dynamische als konstruktive, und die Quartenfigur in den Bässen mahnt abermals an Brucknersche Schlußgepflogenheiten. [W07/H]


Erste Seite (i) Vorherige Seite (316)Nächste Seite (318) Letzte Seite (410)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 317 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang