- 18 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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von Militär und Krieg einerseits und zu Untergang und Katastrophe andererseits herstellen. Den Ausgangspunkt bilden dabei Ratz’, Redlichs und Adornos Interpretationen des Werkes. Die von Adorno postulierte Beziehung des Liedes Revelge zur Sechsten Symphonie ist zu hinterfragen. In diesem Zusammenhang sind auch die zahlreichen Marschmodelle in Mahlers Musik zu thematisieren, die für Redlich die Ausgangsbasis seiner Interpretation darstellten. Es gilt zu überprüfen, ob Bezüge zu den Märschen und Signalen der österreichischen Militärmusik bestehen. Die frühen Biographen (Adler, Bauer-Lechner, Specht, Stefan) sagen, daß Mahler in seiner Jugendzeit in Iglau häufig Militärmusik hörte und davon begeistert war.

Als drittem Schwerpunkt wendet sich die Untersuchung dem Verstehen der betreffenden Werke zu. Vorab steht hier das Phänomen der Vorahnung des Künstlers zur Diskussion, das die drei Autoren postuliert haben. Dieser Gedanke wird nach seinen Entstehungsbedingungen befragt. Im Zentrum steht dann die geschichtliche Entwicklung der Interpretation der Werke. Ausgegangen wird dabei von Mahlers Wunderhorn-Liedern mit ihrer zentralen Thematik des Soldaten. Revelge ist hier nur die Spitze des Eisbergs einer ganzen Reihe von Liedern Mahlers, die das Schicksal des Soldaten thematisieren, und zwar in ausschließlich negativer Konnotation. Die auffällig häufige Behandlung der Soldatenthematik ist singulär im Vergleich zu anderen Komponisten, etwa zu Schumann, Brahms, Strauss, Reger, Pfitzner und Wolf. Es ist zu ermitteln, ob und wann das gehäufte Auftreten des Soldatenmilieus in diesen Liedern bemerkt worden ist und wie es erklärt wurde. Parallel dazu geht es um die Frage, ab wann im Mahler-Schrifttum vom hier in Rede stehenden Gehalt der Sechsten Symphonie gesprochen wurde. Es ist zu untersuchen, ob es schon viel früher Deutungen gibt, die Elemente der Interpretationskonstante enthalten, oder ob sich Merkmale erkennen lassen, die auf eine solche spätere Deutung hinauslaufen könnten. Ferner: Gibt es gewisse Gruppierungen von Rezipienten, die einer derart ausgerichteten politischen Sichtweise Mahlers eher zuneigen als andere? Immerhin sind sowohl Redlich als auch Adorno als auch Ratz Juden und politisch eher im linken Spektrum angesiedelt – ebenso wie Mahler! Des weiteren hatte Adorno für die Kriegsvorahnung in der Lyrik auf den frühen Expressionismus hingewiesen. Auch Rudolf Stephan hat Mahlers Sechste Symphonie als Vorform des Expressionismus bezeichnet66

66
Rudolf Stephan, Art. »Expressionismus«, in: MGG2, Band 3, Kassel-Stuttgart 1995, Sp. 246.
. Diese Fingerzeige bedürfen einer Vergegenwärtigung.

Schließlich gilt es zu untersuchen, wie die größere Masse der Zeitgenossen diese Musik erfahren hat. Gibt es vermehrt Zeugnisse, daß Krieg, Katastrophe und Untergang schon früh in der Sechsten Symphonie wahrgenommen wurden, daß Begriffe dieser Sphäre für die Beschreibung des Höreindruckes zur Sprache kamen? Den Untersuchungsgegenstand bilden hier alle erreichbaren Zeitungskritiken zu Aufführungen der Sechsten Symphonie. An erster Stelle wird der Zeitraum bis 1914 untersucht. Für die acht Aufführungen liegen 69 Besprechungen vor. Gefragt wird, ob und in welcher Form in diesen Besprechungen eine Kriegs-, Krisen- oder Katastrophenstimmung zur Sprache kommt. Die gleiche Untersuchung wird anschließend für den Zeitraum von 1919 bis 1933 durchgeführt, für den 55 Rezensionen vorliegen. Hier gilt es zu fragen, ob ein Rezeptionswandel der Symphonie durch die Erfahrung des Ersten Weltkrieges erfolgt ist. Für diese Untersuchung sollen numerische Verfahrensweisen zur Anwendung kommen.


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