graut. Wie im Musikdrama fungiert auch im Film die Nacht als Schwelle von
einer Situation bzw. Welt in eine andere. Der von den Zwillingen so inbrünstig
verlangte Liebestod (»Nun banne das Bangen, holder Tod, sehnend verlangter
Liebestod! In deinen Armen, dir geweiht, urheilig Erwarmen, von Erwachens Not
befreit!«)209
Text des Musikdramas zit. n. Pahlen (1983), S. 140 f.
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lässt nicht lange auf sich warten, allerdings erfolgt er als eine Karikatur (sowohl der
Thematik des Dramas als auch des sexuellen Akts): In den folgenden Szenen am
nächsten Morgen bekämpfen sich die Geschwister und suchen den gemeinsamen Tod.
Hier schließt sich der Kreis zu den oben erwähnten Ängsten Lilys in den Anfangsszenen.
Die Ewigkeit der Liebe (oder des Hasses) kann nur durch den Tod erreicht
werden.
Anstatt diese Szene minutiös auf Entsprechungen des Notentextes in Bezug auf die Bilder
zu untersuchen, bietet es sich an, generelle Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten zwischen
Film und Musik hervorzuheben. Der Gebrauch von Tristan und Isolde fügt sich aus mehreren
Gründen passend im Film ein. So entspricht beispielweise »die tiefe Kunst des tönenden
Schweigens«210
Aus einem Brief Wagners an Mathilde Wesendonck vom 12. Oktober 1858, zit. n.
Csampai/Holland (1983), S. 114
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des Musikdramas dem enigmatischen Stil des Films. Weder erfährt der
Zuhörer, was »hinter dem Geheimnis der Liebe Tristans und Isoldes sich
verbirgt«,211
noch enthalten die Äußerungen der Liebenden (vor allem im sogenannten
›Tagesgespräch‹)212
konkrete wichtige Informationen:
»Die Verdunkelung des rational Einsichtigen [...] schafft die Voraussetzung
für die spezifische Verkündigungsästhetik Wagners, bei der Personen nicht
von sich reden, sondern über sich referieren, als besäßen sie kein individuelles
Bewußtsein von sich [...]. Zugleich eröffnet diese Möglichkeit der verschlüsselten
sprachlichen Äußerung eine Abkehr von der Trivialität der Alltagssprache
wie überhaupt von der Banalität des prosaischen Alltagslebens, zu der ein
Werk wie ›Tristan und Isolde‹ eine ästhetizistische, morbide, ja dekadente
Gegenwelt bildet. [...] Das Rätselhafte und Verschlüsselte, das nicht Eindeutige
und nicht Einsehbare, gerade das machte (und macht noch heute) wohl den
Reiz der ›Tristan‹-Handlung aus.«213
Hier werden Parallelen zum Film deutlich. Auch im Film konstatiert der
Zuschauer eine Ablehnung der Alltagssprache, die im Grunde keinen
informativen Zweck erfüllt. Die Sprache wird wie im Musikwerk »ihrer Funktion
als Organ der Vernunft und der rational einsichtigen Motivationen von
Handlungsvorgängen«214
entkleidet. Ob der Film eine dekadente Alternativ-Welt repräsentiert, sei einmal dahin
gestellt, bzw. dem Interpretationseifer des Analytikers überlassen – zumindest lebt der
Film wie die Handlung des Dramas von Mythen und rätselhaften Elementen.
Auch an anderer Stelle werden Übereinstimmungen zwischen Kontext der Musik und
Film offensichtlich: Deutet bereits der Titel Black Moon auf die Nacht als thematisierte
(präferierte?) Tageszeit hin, so entspricht ein Zitat von Thomas Mann verblüffend genau
Elementen des Films:
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