- 39 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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Zazie im Flohmarkt-Restaurant ein typisch französisches Gericht (Miesmuscheln und Pommes Frites) zu typisch französischer Musik (Musette) verzehrt. Hier wird deutlich, dass Malle dem Bild in Bezug auf Großstadtproblematik und den Wandel von Paris zu einer Metropole nach amerikanischem Vorbild (auch was den Verkehr betrifft) eine neue Ebene hinzufügt: nämlich durch einen subtilen Kommentar seitens der Musik.

Musik im On An vielen Stellen ist die Musik direkt durch das Bild motiviert. Diese Kategorie enthält unterschiedliche Formen wie z. B. einfaches Gesumme (t 8, 18), einen Schuh, dem eine Spieluhr eingebaut zu sein scheint (t 14), den Bläserchor der Heilsarmee (t 10, 19) oder die Bühnenmusik im Cabaret ›Le Paradis‹. Funktionell dienen diese Einsätze unterschiedlichen Zwecken. Einerseits sollen Personen charakterisiert (das unbekümmerte Summen der verliebten Mado), andererseits Authentizität bei der Darstellung von Orten (Juke-Box in Bistro, Bühnenmusik) erreicht werden. Zudem entbehren manche Takes freilich nicht einer gewissen Komik, so z. B. der äußerst schief gespielte Bläserchoral der Heilsarmee.

Die Rolle von Geräusch und Sprache im Film

Es ist gerade im Film Zazie dans le métro unzureichend, lediglich von einer Musikdramaturgie zu sprechen, gehören doch das Geräusch und die Verfremdung von Sprache mittels verschiedener Mittel zu einem wesentlichen Bestandteil des akustischen Konzeptes des Films. Nicht zuletzt auf der Ebene gewisser Soundeffekte wird die Darstellung der von Malle erwähnten chaotischen und aus den Fugen geratenen Welt realisiert. Die hier dargestellten Beispiele sind freilich nur ein kleiner Teil der vielfältigen Effekte, die Malle im Film benutzt. Unterschieden werden muss zwischen einfachen Geräusch- und Spracheffekten, die das teilweise groteske Bild unterstützen und solchen Effekten, die das elementare Verhältnis von Bild und Ton bestimmen und verändern.

Zur ersten Gruppe kann beispielsweise das mehrfach verstärkte Weinen Zazies gezählt werden (Segment 18): Aus Frust über den Metrostreik heult das Mädchen, wobei der Eindruck erweckt wird, dass noch mehrere andere Kinder mit in das Klagen einstimmen. An anderer Stelle spricht Zazie mit künstlich beschleunigtem Tonfall (Segment 54). Der Sinn und Zweck dieser Verfremdungen ist dramaturgisch nicht einwandfrei zu klären; schließlich ist es Zazie, die grotesk erscheint und nicht die Welt, die sie subjektiv als grotesk und unerklärlich wahrnimmt. So scheint der Vorwurf der übertriebenen Inszenierung des Surrealistischen, den Ulrich Gregor gegen Malle erhebt, nicht ganz unberechtigt zu sein:

»Der Versuchung, mit filmischen Mitteln die Wirklichkeit nach eigenem Rezept durcheinanderzuschütteln, verfällt der Regisseur dann aber völlig, und dies zum entschiedenen Nachteil seines Films. Entfaltete sich bei Queneau die Satire gerade im Zusammenfallen des Absurden mit dem Alltäglichen, so meint Malle, um jeden Preis ›erfinden‹ zu müssen. Das beginnt schon im Medium des Akustischen: anscheinend hielt er es für einen sehr guten Einfall, Zazie gleich vielstimmig nach Babymanier plärren zu lassen, als sie die Métrostation wegen des Streiks geschlossen findet.«98

98
Gregor, Ulrich: »Zazie«. In: Filmkritik 2/61, S. 114–118, hier S. 117


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