und verändert zudem die Frequenzen, um auf keinen Fall einen physischen Effekt
auf den Zuschauer zu riskieren. Chion spricht in diesem Fall von »neutralisation de la
musique«717
Chion (1995), S. 380 (»Neutralisierung der Musik«)
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und von einem »traitement littéralement
dévitalisant.«718
Ebda. (»ein im wahrsten Sinne des Wortes schwächender Gebrauch«) Chion spielt in diesem
Zusammenhang auf eine Szene aus dem Film Le Beau mariage (F 1982) an, in dem bei einer
Party der Frequenzbereich der Musik derart limitiert wiedergegeben wird, dass praktisch
keine Bässe zu vernehmen sind. Nach Chions Ansicht grenzt dieser Gebrauch, der mit
der Vermeidung jedweden physischen Effektes auf den Zuschauer begründet wird, an die
Karikatur.
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Hier wird deutlich, dass es sowohl durchaus Entsprechungen zu Malles Haltung einer
weitgehend neutralen Inszenierungsweise und Musikdramaturgie gibt sowie auch
Regisseure, die aufgrund ästhetischer Prinzipien gänzlich auf Musik verzichten.
Malle beschreitet diesen Weg nicht mit der Konsequenz wie Eric Rohmer, da in
seinen Filmen die Musik eine weitaus größere Rolle spielt und er sie auch zum
Träger von inhaltlichen Zusatzebenen und -informationen nutzt. Dennoch wird
deutlich, dass Malle mit seinem Bruch mit der symphonischen Filmmusik im Stile
Hollywoods keinesfalls ein Einzelfall ist, sondern im Zuge der Nouvelle Vague
allgemeine Tendenzen zu einer stilistischen und ästhetischen Neuorientierung der
Musikdramaturgie zu verzeichnen sind und die Regisseure in verstärktem Maße die
Tonspur ihrer Filme (im Sinne des Autorenkinos) zu kontrollieren und mitzugestalten
suchten.
Schlussbemerkung
Die Ergebnisse der Einzelanalysen haben gezeigt, dass in einigen Filmen die
Ästhetik des zurückhaltenden und nicht beeinflussenden Gebrauchs von
filmischen Mitteln auch in musikalischer Hinsicht erfüllt wird. Wenn die Cutterin
Emmanuelle Castro sagt: »L’objectif choisit et on ne vous force pas, on vous
laisse libre. C’est un cinéma qui vous force d’être attentif. Par exemple,
souvent des répliques importantes ne sont absolument pas dites en gros
plan.«719
»Das Objektiv wählt die Perspektive, aber man wird nicht gezwungen, es wird einem eine
gewisse Freiheit gewährt. Es ist ein Kino, das den Zuschauer zwingt, aufmerksam zu sein. So
werden wichtige Aussagen keinesfalls in Großaufnahme mitgeteilt.«, zit. n. Le bon plaisir
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so kann man diesen Aspekt der ›Freiheit‹ des Zuschauers nicht nur auf die
Kameraführung und die Gesprächsdramaturgie beziehen, sondern in vielen Fällen auch
auf den Einsatz musikalischer Mittel. Louis Malle fordert vom Filmbetrachter ein aktives
und kritisches Teilnehmen am Kommunikationsprozess Film. Durch musikalische Zitate
vermag der Regisseur die inhaltliche Ebene seiner Filme anzureichern und in manchen
Fällen Botschaften zu kodieren, häufig aber dem Filmbetrachter auch seine eigene
Interpretation zu lassen. In den meisten Filmen vermeidet er ein eindeutig
paraphrasierendes Verhältnis von Bild und Musik und versucht nicht durch
vordergründige Effekte die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu lenken. Die Musik in
Malles Filmen bildet einen legitimen Bestandteil der gesamtfilmischen Dramaturgie,
teilweise sogar ein integrales Teilthema des Films (Pretty Baby, Le Souffle au coeur). Im
Hinblick auf diese Aspekte erfüllt die Musikverwendung bei Malle folgen-
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