- 25 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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met (der Begriff ist in dieser Szene wahrhaftig zutreffend). Hier finden die düsteren Klänge des Vorspanns ihre erste Bestätigung; das Eheleben der Tourniers ist von patriarchalischer Härte und eklatanter Interessendivergenz gekennzeichnet. Henri ist nicht fähig, seiner Frau die Aufmerksamkeit und Liebe zu geben, die sie verlangt. Gleichzeitig steht die Musik Brahms’ stellvertretend für die Musikpräferenz der französischen Bourgeoisie.

Nahezu die gleichen Takte der I. Variation werden in Take 6 verwendet; bezeichnenderweise erneut in der Bibliothek und abermals mit der Schallplatte als Tonquelle. Die formale Parallelität zu Take 2 ist offensichtlich. Dennoch ist die Stimmung eine andere: Jeanne kämmt sich die Haare, während die Musik aus der Bibliothek in ihr Zimmer dringt; es ist spät nachts und sie ist sich ihrer frustrierenden Lage bewusst geworden: ein verhasster Gatte auf der einen, ein lächerlicher Liebhaber auf der anderen Seite.59

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Wichtig zur Beschreibung der Situation ist hier die Off-Stimme: »[. . . ] Elle eut soudain envie d’être quelqu’un d’autre.« (»Sie hatte plötzlich Lust, jemand anderes zu sein«)
In dieser Atmosphäre erklingt nun die Musik, welche für Jeanne plötzlich eine nahezu hypnotische Wirkung zu haben scheint.60
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Ein Blick ins Drehbuch verdeutlicht dieses: »Dans le silence de la nuit, cette musique prend une force obsédante [. . . ] Instinctivement [. . . ] elle frédonne le thème. Elle est de plus en plus nerveuse. Bientôt elle ne tient plus et se lève comme un automate.«, zit. n. »Les Amants – découpage«, S. 30 (»In der Stille der Nacht gewinnt diese Musik eine zwingende Macht. Instinktiv summt sie das Thema. Sie wird immer nervöser. Bald hält sie es nicht mehr aus und steht wie automatisch auf.«)
Sie zieht sich einen Morgenmantel an und steigt die Treppe ins Erdgeschoss hinab, wo sie in die Bibliothek geht und die Schallplatte ausstellt.

Die Musik wirkt hier wie eine Einladung, wie ein fernes Rufen, dem Jeanne gehorcht. Gleichzeitig beginnt die Musik, ihre ursprüngliche Beschriftung zu verlieren. Denn von nun an wird die Musik nicht mehr allein Henri und dem Ort, der Bibliothek zugeordnet, sondern auch dem Studenten Bernard, der offensichtlich neben der Abscheu gegenüber Jeannes oberflächlichen Pariser Freunden mit Henri den gleichen Musikgeschmack teilt. Take 6 dient als Überleitung zum zweiten Abschnitt des Films. Beim Hinaustreten aus der Bibliothek in den Garten beginnt der romantische Teil.

Der folgende Musikeinsatz ist mit 388 sec der längste des gesamten Films. Nachdem Jeanne mit Bernard ziellos im Garten spazieren gegangen ist und zunehmend ihre mondäne ›Pariserinnen‹-Fassade ablegt, kann sie seinem Charme nicht länger widerstehen. Es erklingt nun das Thema (wie im Vorspann), gleichzeitig erklärt der Off-Kommentar Jeannes Gefühle: »On ne résiste pas au bonheur.«61

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In der deutschen Synchronfassung: »Wer leistet dem Glück Widerstand?«
In den folgenden sechseinhalb Minuten sieht der Filmbetrachter das Pärchen in diversen Situationen im Park (Spaziergang im Mondschein, Freilassen der von Henri gefangenen Fische, Bootsfahrt im Mondschein etc.). Dieses Take lässt sich musikalisch und dramaturgisch in drei Abschnitte einteilen. Zunächst wird das Thema (T. 1–32) mit diversen Wiederholungen eingesetzt; nach dem Kuss der beiden erklingt die Durvariation (T. 81–112; ebenfalls mit Wiederholungen) und abschließend die VI. Variation (das Thema wird vom ersten Cello gespielt und es fehlen hier die Violinen, was eine dunkle Stimmung erzeugt) zu den Gesichtern in Großaufnahme. Nach der glücksseligen Exstase, ausgedrückt durch die Durvariation (Jeanne


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