Jazz-Idiom den Ausflug der beiden in eine für sie fremde Welt (Motels, Autos,
Waffen, Kameras), so steht die Klassik für eine vertraute Idylle, die Véroniques
Zimmer darstellt – der klare klassische Gestus als Kennzeichen einer geordneten,
kleinbürgerlichen Welt im Gegensatz zum Hard Bop als Merkmal des schnellen
Lebens.
Hans Emons sieht in diesem Gebrauch die Bestätigung einer standardisierenden
Tendenz von Filmmusik, die durch das Zurückgreifen auf ›populäre
Klassik‹ das Bekannte »durch seine Reproduktion noch bekannter«
mache.41
la Motte-Haber/Emons (1980), S. 168
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In der Tat setzt Malle die Serenade erneut in Vie privée ein, jedoch sicherlich nicht in
Ermangelung an Alternativstücken – die Verwendung von präexistenter Musik in seinen
übrigen Filmen ist derart weitgefächert, dass dieser Vorwurf nicht greift – sondern in
einer ironischen Anspielung an den Debütfilm: Auch im späteren Film dient
die Musik als Versüßung des Suizids; dieses Mal ist es Brigitte Bardots alter
ego Jill, die mittels Musik und Tabletten in der Badewanne entschlafen will.
Fazit
Die Musik in Ascenseur pour l’échafaud bildet atmosphärisch das akustische
Pendant zum dargestellten visuellen und dramaturgischen Konzept, das sich
durch einen Pessimismus und eine Weltverlorenheit auszeichnet, und in dem
»der moralische Anspruch auf Glück in den labyrinthischen Verhältnissen des
Lebens«42
Jansen, Peter W./Maerker, Christa: »Das verbotene Ich des Bürgers: Louis Malle«. In: Kogel,
Jörg-Dieter (Hrsg.): Europäische Filmkunst. Regisseure im Porträt. Frankfurt am Main:
Fischer 1990, S. 93–104, hier: S. 97
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von den handelnden Personen nicht eingelöst werden kann. Das Verlangen nach
Zweisamkeit, eine existentielle Einsamkeit und das letztendliche Scheitern der
Bestrebungen nach Liebesglück – all diese Aspekte lassen sich in der Musik wiederfinden
und dort in erster Linie in der Trompete des Miles Davis. Neben der Instrumentation der
Stücke (die Trompete bleibt bis auf ein Stück mit Tenorsaxophon das einzige
Solo- und somit Melodieinstrument, ist damit per se bereits ein Indiz für die
Einsamkeit), spielen Harmonik, Melodik und die Phrasierung von Davis eine
zentrale Rolle. Sowohl Harmonik als auch Melodik (d-Bluesskala) führen immer
wieder auf den Ausgangspunkt zurück und vertonen somit die Unmöglichkeit des
Ausbrechens aus einem bestimmten Raum (Tonraum, Ambitus, harmonischer
Raum entsprechend dem visuellen Raum des Fahrstuhls entsprechend dem
situativen Raum der hoffnungslosen Lage gegenüber der moralisch-gesellschaftlichen
Instanz, hier der Polizei und dem Justizapparat). Zusätzlich nimmt Davis mit dem
wiederholten Verwenden der flatted fifth als Vorhalt Bezug auf die Seufzermotivik
der Figurenlehre und durch den somit entstehenden Tritonus (d-as) auf die
traditionsreiche Beschriftung dieses Intervalls (diabolus in musica). Die Phrasierung
nimmt mitunter klagende Züge an. Philippe Langlois hebt diese Klangsprache als
Besonderheit der Filmmusik hervor, die nach seiner Meinung im Kontext ihrer
Entstehungszeit ein Novum repräsentierte, da sie der herkömmlichen Leitmotivtechnik
abschwor.43
»Cette conception musicale tout en rupture est très nouvelle en 1957, surtout pour une
musique de film qui, habituellement obéissait à des règles thématiques, employait le
leitmotif.« (»Dieses musikalische Konzept brach 1957 mit den herkömmlichen Techniken
einer Filmmusik, die normalerweise Themen und Leitmotive verwendete.«), zit. n. Philippe
Langlois: »Le jazz dans les musiques de film«. In: Carnet de notes. Tu vois ce que j’entends,
gesendet am 08. 12. 1999 auf France Culture (Radiosendung).
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